Im Juli 2021 wurden wir inständig um Hilfe für eine Milchkuh gebeten:
Eine anonyme Kuhmutter bringt in einem Biobetrieb soeben ihr Kind zur Welt. Es ist das vierte Kind, dem sie das Leben schenkt, und gleichzeitig ihr letztes, denn mit 6 Jahren ist ihr Körper ausgelaugt und als “Gebärmaschine” nun nicht mehr brauchbar – womit ihre Existenzberechtigung erlischt. Und auch das “Wunder des Lebens”, dem sie soeben unter Anstrengung und Schmerzen zur Wirklichkeit verholfen hat – das Leben des kleinen Bullenkälbchens – ist schon im Moment seiner Geburt eigentlich fast nichts mehr wert: Ist doch dieses neu entstandene Leben nur eine ärgerliche lästige Nebenerscheinung dessen, worum es ihrem “Besitzer” und “Herrn” eigentlich geht: ihre Milch – die Muttermilch, die ihr Körper, wie der Körper jeder Säugetiermutter, einzig und allein durch ihre Schwangerschaft und zur Ernährung ihres neugeborenen Kindes produziert.
Dieses vierte Kälbchen wird ihr nun – wie schon ihre drei vorigen – wenige Stunden nach der Geburt von der Brust und aus ihrem Leben gerissen. Es liegt in einem engen Eisenkäfig, wo es frierend und zitternd mit seinem Zünglein versucht, an den Eisenstangen zu nuckeln. Es wird dort in schmerzhafter Deprivation als Waisenkind mit Milchersatzpulver ernährt und in wenigen Wochen an einen Mäster verkauft werden.
Es ist eine ganz alltägliche Geschichte, wie sie täglich, stündlich, ja soeben auch jetzt, sich abspielt – um des Menschen Wunsch nach Milch und Milchprodukten zu erfüllen.
Diese Kuh – wir nennen sie Alma Mater – hört nach dieser vierten Geburt tagelang nicht mehr auf nach ihrem Kind zu rufen. Ihr erschöpfter Körper offenbart die flehende Geste der Verzweiflung – doch nichts bringt ihr ihr Kind zurück. Was ihr bevorsteht, ist einzig noch der Abtransport zur Schlachtung:
Es gelang uns, Alma Mater freizukaufen und wir holten sie Ende Juli 2021 in unser Rendez-vous mit Tieren. Sie stand sinnbildhaft für das leidvolle Ende einer „ausgedienten“ Milchkuh:
Sie litt an schmerzhaften Geschwüren an allen Klauen. Außerdem hatte sie eine schwere Stoffwechselentgleisung und Mastitis, war, als sie zu uns kam, war völlig teilnahmslos und hatte die Nahrungsaufnahme eingestellt.
Mit tierärztlichem Sachverstand und liebevoller Hingabe hat unser Hasan Tatari Alma Mater wochenlang behandelt und schließlich zurück ins Leben – und erstmals in ein lebenswertes, erfülltes Leben geführt. Alma Mater schloss sich unserer geretteten Nuntiata und ihrem neugeborenen Kälbchen Noam an.
Alma Mater bedeutet “die Nahrungspendende” und nach ihr haben wir unsere Rinderherberge im Rendez-vous mit Tieren benannt.
Noam, Nuntiata, Alma Mater
Nach der Aufnahme von Alma Mater ließ es uns keine Ruhe, uns nach dem Verbleib ihres letzten Söhnleins zu fragen. Nach intensiven Recherchen konnten wir schließlich erfahren, dass der Kleine zusammen mit einem weiteren Bullenkälbchen auf Umwegen von Deutschland in einem Mastbetrieb in Polen gelandet war. Unser unschätzbarer Lukasz Szyszkowsky suchte den Kontakt und es gelang ihm tatsächlich, den Betreiber des Mastbetriebs dazu zu bewegen, uns die beiden Bullenkälbchen zu verkaufen. Wir gaben ihnen die Namen Alon und Arion.
Da die Einfuhr von Rindern aus Polen zurück nach Deutschland schwierig ist und Alma Mater sich im Rendez-vous mit Tieren noch schwer krank in Behandlung befand, brachten wir Alon und Arion nach Delicia Natural, wo sie in unserer “Maria”eine rührend sorgsame Ziehmutter fanden.
Arion, Maria, Jeshu und Alon
Und noch ein weiteres Tier ließ uns nach der Rettung von Alma Mater nicht zur Ruhe kommen: Alma Maters ehemalige Stallnachbarin – eine schwarz-weiße, achtjährige, bis aufs Skelett ausgezehrte Milchkuh. Als wir Alma Mater für den Transport vorbereitet hatten, hatte diese Kuh mit einem innigen, tragischen Blick Abschied von ihrer Freundin genommen.
Wir versuchten, auch sie freizukaufen, doch der Besitzer wollte sie nicht freigeben. Sie gäbe derzeit noch 30 Liter Milch am Tag, die brauche er für den Rohmilchverkauf in seinem Hofladen.
Wir gaben ihr in unseren Gedanken den Namen Edelgard.
Und beschlossen, alles daran zu setzen, sie zu befreien.
Vor mir eine Unschuldige – sie, die wehrlose, anonyme, schweigende, ausgehöhlte Skelettkuh steht bewegungslos im Fixierstand.
Ihr Rücken ist mit einer dicken Staub- und Schmutzschicht bedeckt. Ich sehe mir ihren knochigen Leib genauer an.
Eine fellüberzogene Kraterlandschaft mündet in ein
welkes, krankes Euter mit vier deformierten Zitzen…
Bis zum letzten Tropfen Milch soll sie hier stehen und danach “kommt sie an den Haken und wandert über den Tresen”, so der Originalton des Besitzers.
In den nächsten Wochen rangen wir weiterhin beharrlich und eindringlich um Edelgards Rettung. Als im Stall des Besitzers schließlich das nächste Kälbchen einer Leidensgenossin Edelgards geboren wurde, und somit deren Muttermilch für den Biomilchverkauf im Hofladen verfügbar wurde, gab der Besitzer Edelgard schließlich frei.
Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits in einem prekären gesundheitlichen Zustand. Wir holten sie ab und ließen sie zunächst 5 Wochen lang stationär in der Uniklinik in Berlin behandeln, überwachen und das schwierige Abmelkverfahren dort schonend in Gang setzen. Herzlichen Dank möchten wir an dieser Stelle Frau Prof. Dr. Müller und ihrem Team für die professionelle Betreuung Edelgards aussprechen.
Anschließend konnte Edelgard endlich zu uns ins Rendez-vous mit Tieren kommen und hier – in Freiheit – ihre Freundin Alma Mater wieder treffen.
Und noch immer war die Rettungsgeschichte nicht am Ende:
Auch wenn wir wissen, dass es täglich, stündlich, zu jeder Zeit, milliardenfach geschieht, dass allein in Deutschland jährlich über 4 Millionen Kälber kurz nach der Geburt ihren Müttern entrissen werden, können wir doch nicht anders, als für die Rettung einzelner Individuen aus diesem Meer der gnadenlosen Ausbeutung zu kämpfen und alles daran zu setzen, jene zu retten, die unseren Weg direkt kreuzen.
Die junge Kuhmutter, die nun an Edelgards Stelle Milch für den Hofverkauf lieferte, und der auch in den nächsten Jahren Kälbchen um Kälbchen genommen werden würde, konnten wir nicht retten. Und selbst wenn wir es gekonnt hätten, wäre die nächste an ihre Stelle gerückt… Doch ihr Bullenkälbchen, dessen Geburt die Freigabe Edelgards bewirkt hatte, wollten wir retten. Und taten es:
So kam auch noch Salvatore-Adamo zu uns und wurde vor dem Verkauf in einen polnischen Mastbetrieb bewahrt.
Und dann?
Zu guter letzt gab es 8 Monate nach unserer ersten Begegnung mit Alma Mater noch ein Leben, das gerettet wurde.
Dieses Leben trug Edelgard, trotz ihres dramatischen Gesundheitszustands bei ihrer Rettung in sich:
Am 11.März 2022 schenkte sie in unserer sicheren Obhut einem kleinen Bullenkälbchen das Leben: Engelbert.
Engelbert ist Edelgards sechstes Kind, ihr letztes, und das erste und einzige, dem sie Mutter sein darf und mit dem sie in familiärem Herdenverband nun für den Rest ihres Lebens glücklich sein darf.
Edelgard und Engelbert
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